Seehandelsrecht

Seehandelsrecht

  • null
    Neues zur Verzugshaftung im deutschen Seehandelsrecht

In einer wegweisenden Entscheidung hat der Bundesgerichtshof (Urteil vom 20.04.2023, Az. I ZR 140/22) die Argumentation von SESU aufgegriffen, die Haftung von Fixkostenspediteuren/Verfrachtern für Verspätungsschäden im Seerecht drastisch erweitert und damit die Hürde der überaus formalen Haftungsvoraussetzungen gesenkt.

  • null
    Um was ging es?

Die beklagte Spedition war von einem Automobilzulieferer, der Versicherungsnehmerin der Klägerin, zu fixen Kosten beauftragt, im Wochenrhythmus Produktionsteile per Seeschiff nach Mexiko zu transportieren. Im Sommer 2017 verschob die Beklagte zwei zum Transport anstehende Container mehrfach vom gebuchten Schiff auf spätere Schiffe, wodurch die fristgemäße Ablieferung in Mexiko verzögert wurde und ein Produktionsausfall im Werk in Mexiko drohte.

Die Beklagte lehnte Aufforderungen des Automobilzulieferers ab, die Container bevorzugt zu befördern und ggf. auch schnellere Transportmittel einzusetzen. Daraufhin ließ der Automobilzulieferer durch einen anderen Frachtführer eine Ersatzlieferung per Luftfracht zum Werk nach Mexiko verfliegen. Die Klägerin regulierte die dadurch entstandenen Kosten ihrer Versicherungsnehmerin und nahm die Beklagte erfolgreich auf Erstattung in Anspruch.

Sowohl das Landgericht, als auch das Oberlandesgericht sahen die Ansprüche der Klägerin als begründet an, was auch der Bundesgerichtshof in letzter Instanz bestätigte und damit der Argumentation der von SESU vertretenen Klägerin folgte.

Der Klägerin stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ersatz der entstandenen Kosten aus den Verzugsregelungen gem. §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB zu. Eine verzugsbegründende Mahnung nach § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB sei entbehrlich, da aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt sei. Die Funktion einer Mahnung sei es, den Schuldner in die Lage zu versetzen, erkennen zu können, dass das Ausbleiben seiner Leistung Folgen haben werde und ihn zu veranlassen, die Leistung sofort zu erbringen. Gerade dies sei hier jedoch überflüssig. Den Parteien lägen Wochenübersichten vor, anhand derer konkrete Zeiträume für die Seetransporte bestimmter Produktionsteile erkennbar waren. Der Beklagten sei daher bewusst gewesen, dass es um zeitkritische Lieferungen gehe. Sie sei mehrfach aufgefordert worden, nach Absage der ursprünglichen Schiffsbuchungen, einen schnelleren Transport zu organisieren, habe aber abgelehnt und sogar geäußert, dazu nicht in der Lage zu sein. In einer solchen Konstellation sei eine Mahnung fehl am Platz und de facto nur eine reine „Förmelei“.

  • null
    Was ist das Besondere an der Entscheidung?

Anders als bei Transporten per LKW, Flugzeug oder Eisenbahn kennt das Seefrachtrecht keine Regelungen zum Ersatz von Verzögerungsschäden. Der Gesetzgeber hat sich im Zuge der Seehandelsrechtsreform 2013 bewusst gegen eine spezialgesetzliche Vorschrift entschieden.

Verzögerungsschäden und Vermögensschäden können daher nur nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften der §§ 280, 286 BGB geltend gemacht werden. Diese setzen regelmäßig voraus, dass der Schuldner nach Fälligkeit der Leistung unter Fristsetzung –  Mahnung – zur Leistung aufgefordert wurde.

Gerade bei Seetransporten fehlt es aber oft schon an fixen Leistungszeitpunkten. Üblicherweise werden nur ungefähre, unverbindliche Abfahrts- (ETS = estimated time of sailing/shipping) und Ankunftszeitpunkte ((ETA = estimated time of arrival) avisiert. Damit ist schon oft schwierig, festzustellen, wann die Fälligkeit der Leistung vorliegt. Eine Mahnung, die den Sinn und Zweck hat, dem Schuldner deutlich vor Augen zu führen, dass das Ausbleiben seiner Leistung Folgen haben wird, um ihn so zur sofortigen Leistung zu veranlassen, ist im Seefrachtrecht von vorneherein aussichtslos. Kein Reeder wird ein Schiff wegen der Mahnung eines Ladungsbeteiligten schneller fahren lassen. Nach dem Bundesgerichtshof ist nunmehr zumindest in Konstellationen, in denen der Befrachter schadensmindernd vor Fälligkeit tätig geworden sind, eine Mahnung entbehrlich.

  • null
    Was bedeutet dieses Urteil für die Praxis?

Diese wegweisende Entscheidung ist zu begrüßen, da so den Umständen der täglichen Transportpraxis Rechnung gezollt wird und Schäden, die durch notwendige Ersatzlieferungen zur Verhinderung von Produktionsausfällen/Schadensersatzansprüchen Dritter entstehen, ersetzt verlangt werden können. Die für eine Verzugshaftung grundsätzlich erforderliche Mahnung nach Fälligkeit stellt damit nunmehr auch aus höchstrichterlicher Sicht in den entsprechenden Fallkonstellationen eine „reine Förmelei“ dar, sodass mit Interesse abzuwarten bleibt, auf welche vergleichbaren Fallgestaltungen diese rechtliche Bewertung übertragen werden kann.

Das Urteil verlangt daher ein Umdenken der am Transportgeschehen Beteiligten:
Zum einen ist zu beachten, dass mögliche Ersatzansprüche durch geeignete Rechtsmittel schon frühzeitig gesichert werden und zum anderen, dass bereits im Vorfeld durch vertragliche oder AGB-rechtliche Maßnahmen weitreichende Ersatzansprüche sinnvoll ausgestaltet werden.

Von besonderem Interesse und sehr lehrreich für die rechtliche Einordnung der Verzugshaftung im Seefrachtrecht sind die Erwägungen der Instanzgerichte:

I. Instanz:

Landgericht Hamburg, Urteil vom 06.05.2021 – 407 HKO 19/19

Bereits in der ersten Instanz gab das Landgericht Hamburg der Klage statt. Es stützte sein Urteil auf die Verzugsregelungen gem. §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB und sah einen fälligen Anspruch als gegeben an. Das Landgericht hatte dabei die Fälligkeit des Anspruchs auf Beförderung und Ablieferung des Gutes praktisch vorverlagert auf den Zeitpunkt vor Beginn der Beförderung. Zwischen den Parteien herrsche ein „zeitsensibles“ Geschäft mit wöchentlichen Lieferzyklen, sodass fixe Lieferpflichten gelten würden. Die erforderliche Mahnung sei entbehrlich, da eine Zeit nach dem Kalender in Form der wöchentlichen Lieferungszeitpunkte bestimmt gewesen sei.

 

II. Instanz:

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 11.08.2022 – 6 U 44/21

Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg bestätigte in zweiter Instanz einen Anspruch auf Schadensersatz für die Verspätungsschäden. Anders als das Landgericht stellte es aber nicht auf eine Haftung für Verzugsschäden nach § 286 BGB ab, sondern bejahte eine Verletzung der Hauptleistungspflicht und damit einen Anspruch gem. § 280 Abs. 1 BGB.
Die Beklagte hafte allein aus § 280 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung der allgemeinen Pflicht zur vertragsgemäßen Leistungserbringung. Das OLG verweist in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 13.11.2018, Az. EnZR 39/17; WM 2019, 1462), wonach ein Schadensersatzanspruch dann zu bejahen sei, wenn der Schuldner unmissverständlich zu erkennen gegeben habe, die Leistung nicht rechtzeitig erbringen zu können und der Gläubiger schon vor Fälligkeit Aufwendungen getätigt habe, die zur Minderung oder Begrenzung des drohenden Verzugsschadens erforderlich gewesen seien. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sah der Senat es als erwiesen an, dass die von der Versicherungsnehmerin der Klägerin beauftragte Luftbeförderung einen weitaus größeren Schaden im Werk der Empfängerin in Mexiko abgewandt habe und die Beklagte im Zuge der E-Mail Korrespondenz mit der Versicherungsnehmerin unmissverständlich zum Ausdruck gebracht habe, die Leistung nicht rechtzeitig erbringen zu können. Mithin sei die Beklagte nach Auffassung des HansOLG gem. § 280 Abs. 1 BGB verpflichtet, den Schaden, zu ersetzen.

 

III. Instanz:

Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.04.2023 – I ZR 140/22

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat – ähnlich wie zunächst das Landgericht – eine Verzugshaftung der Beklagten nach §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB bestätigt. Anders als das Landgericht, stützt der BGH die Entbehrlichkeit der Mahnung auf § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB, da aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt sei.
Die Funktion einer Mahnung sei es, den Schuldner in die Lage zu versetzen, erkennen zu können, dass das Ausbleiben seiner Leistung Folgen haben werde und ihn dazu zu veranlassen, die Leistung sofort zu erbringen. Sei sich Schuldner bereits aufgrund von Vertragserklärungen im Vornherein darüber im Klaren, dass er für die Folge nicht zeitgerechter Leistung im Zweifel einzustehen habe, sei eine Mahnung durch den Gläubiger nach Treu und Glauben entbehrlich (BGH, Urteil vom 17.12.1996 – X ZR 74/95, NJW RR 1997, 622).
Dazu greift der BGH den eingangs erwähnten Umstand auf, dass in einigen Konstellationen eine Mahnung völlig fehl am Platz sei und de facto tatsächlich nur eine reine „Förmelei“ darstelle. Entscheidend für die Annahme des Entbehrlichkeitstatbestands nach § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB sei vor allem, dass den Parteien Wochenübersichten vorgelegen haben, anhand derer konkrete Zeiträume für die Seetransporte bestimmter Produktionsteile erkennbar gewesn waren, dass die VN die Beklagte mehrfach aufgefordert hatte, nach Absage der ursprünglichen Schiffsbuchungen einen schnelleren Transport zu organisieren und dass die Beklagte diesbezüglich äußerte, hierzu nicht in der Lage zu sein.

 

Diese Argumentation spiegelt sich als Quintessenz auch in den offiziellen Leitsätzen wider.

  1. Erklärt der Schuldner noch vor Fälligkeit, dass er nicht rechtzeitig leisten könne, würde es eine reine Förmelei darstellen, den Eintritt des Verzugs von einer Mahnung des Gläubigers nach Fälligkeit abhängig zu machen, der der Schuldner seinen Erklärungen zufolge ohnehin nicht Folge leisten kann. In einem solche Fall ist eine Mahnung nach Fälligkeit entbehrlich. (R. 42)
  2. Der Gläubiger kann vom Schuldner den Ersatz erforderlicher Kosten der Schadensabwendung anstelle des höheren originären Verzögerungsschadens verlangen, der nach Verzugseintritt ohne die Maßnahmen des Gläubigers entstanden wäre. (Rn. 53)
  • null
    Take away

Verspätungen kommen in der seerechtlichen Praxis nahezu täglich vor und gehen häufig mit einigen Ärgernissen einher. Daher empfehlen wir,

  • Auf Befrachterseite jederzeit Verspätungen oder mögliche Verspätungen direkt abzumahnen,
  • auf Spediteurs- bzw. Reederseite kurzfristige Transport- Alternativen dem Kunden anzubieten und
  • beiderseits eine gute und konstruktive Kommunikation schon vor Schadenseintritt zu pflegen, um so spätere Schäden im Vorfeld zu vermeiden.

Jeder Fall liegt jedoch anders und die individuellen Umstände können auch durchaus zu anderen rechtlichen Ergebnissen führen. Bei der Beratung und Geltendmachung Ihrer Ansprüche zu derartig gelagerten Verzögerungsfällen stehen wir von SESU Ihnen jederzeit mit interessenwahrenden und stets wirtschaftlich orientierten Lösungen zur Seite.

  • null
    Ihre Ansprechpartner sind

Dr. Jan Albers, LL.M.

Portraitfoto Dr. Jan Albers LL.M.

Thomas Mälzer

Portraitfoto Thomas Mälzer

Tristan C. Exner

Portraitfoto Tristan Cyrill Exner

Standort Hamburg

SEGELKEN & SUCHOPAR
Rechtsanwälte
Stubbenhuk 7
20459 Hamburg

T: +49 40 376805-0
F: +49 40 362071
Notfall-T: +49 151 14041760

info@sesu.de
hamburg@sesu.de

Kartenausschnitt von Hamburg

(c) mapz.com – Map Data: OpenStreetMap ODb